Die Ladeinfrastruktur in Deutschland – Wie sehr hakt es wirklich?

  • 2022-08-26
  • THG Quote Allgemein


Die Ladeinfrastruktur in Deutschland – Wie sehr hakt es wirklich?

 

Das erklärte Ziel der Bundesregierung und teilweise auch der Automobilwirtschaft es ist, dass bis zum Jahr 2030 über 15 Millionen E-Autos auf Deutschlands Straßen zugelassen sein sollen. Und das nicht ohne Grund, denn der Verkehrssektor ist einer der größten Treibhausgasverursacher in Deutschland. Damit dieses ehrgeizige Ziel erreicht werden kann, müssen bis dahin entsprechend mindestens eine Million Ladepunkte existieren. Ob dieser Ansatz überhaupt realistisch ist und wie weit der Ausbau überhaupt schon fortgeschritten ist, erfahrt ihr in diesem Blogartikel.

 

Die häufigsten Fragen zum Ladeausbau in Deutschland

 

Wie viele Ladesäulen gibt es aktuell in Deutschland?

Auch durch die Unterstützung des Bundes durch zahlreiche Förderungen konnten in Deutschland seit dem Jahr 2017 mittlerweile über 62.000 Ladepunkte entstehen (Stand: 05.2022). Um bis zum Jahr 2050 dann einen klimaneutralen Verkehrssektor vorweisen zu können, steht das große Ziel von einer Million Ladepunkten im Raum – allerdings reicht das längst noch nicht aus.


 

Quelle: Bundesnetzagentur


Schaut man sich die reinen Zahlen an, kommen jedoch Zweifel auf, ob die Ziele für den Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland in den kommenden sieben Jahren realistisch sind. Wir sehen das Thema hier jedoch etwas differenzierter, da nicht immer zwischen Schnell- und Normalladestationen unterschieden wird. Außerdem wissen wir, dass die Zahlen laut dem Ladesäulenregister von den Daten des Elektro-Forums GoingElectric abweichen, denn dort heißt es aktuell:

„Aktuell führen wir 29.692 Standorte mit 88.092 Ladepunkten zum Laden von Elektroautos in Deutschland in unserem Ladesäulenverzeichnis auf.“

Im Folgenden werden wir uns aber an den offiziellen Angaben orientieren, die im Juli 2022 so bei der Bundesnetzagentur gemeldet (Quelle) waren:

•            53.652 Normalladepunkte

•            9.918 Schnellladepunkte


Die Zahlen klingen vielversprechend, jedoch sind das schon jetzt laut Meinung einiger Experten bei Weitem nicht genug – besonders, wenn man die steigenden Zahlen bei den E-Auto-Neuzulassungen betrachtet. Live bekommen das alle Elektroauto-Fahrer*Innen mit, wenn diese in den Ferien durch Deutschland fahren und die wenigen Schnellladesäulen hoffnungslos überlastet sind.


Schauen wir uns die Tendenzen der Ladesäulenanbieter an, wird sich das Bild auch nicht ändern, denn die beliebte Mittelklasse (AC-Ladesäulen oder Normalladesäulen) werden kaum noch forciert. Diese sind zwar um ein vielfaches günstiger als schnelle DC-Ladesäulen, jedoch bringen diese entsprechend weniger Ladeumsatz und somit weniger Gewinn. Außerdem haben wir in dem Sektor natürlich die üblichen Probleme auch: wenig Personal, wenig Ersatzteile und kaum Nachschub an neuen Ladesäulen.



So zeigt sich auch schnell eine Schere zwischen der Zulassung reiner Elektrofahrzeuge und dem hakenden Ladesäulenausbau. Während es beispielsweise 2020 rund 195.000 neue Zulassungen von reinen E-Fahrzeugen gab, waren es im Jahr 2021 bereits ca. 356.000 Stück. Auch trotz eines enormen Einbruches im April 2022 erholte sich der Markt wieder, sodass im ersten Halbjahr 2022 von etwa 168.000 neu zugelassenen Autos mit elektrischem Antrieb ausgegangen werden kann.


Nicht nur Verkehrsexperten rechnen in Zukunft mit einer weiteren Steigerung der Neuzulassungen im Elektro-Sektor. Das bedeutet aber auch, dass immer mehr – auch Normalladestationen – dringend benötigt werden. Allerdings scheint der Der Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur ordentlich ins Stocken geraten zu sein. Denn mit 62.000 offiziell öffentlich gemeldeten Ladesäulen geht der Ausbau vielen Beobachtern deutlich zu langsam vonstatten, um das ferne Ziel der Bundesregierung zu erreichen.


So bemerkt Andreas Rade vom Vorstand der Automobilindustrie:

Zitat: „Wird das aktuelle Ausbautempo nicht gesteigert, gibt es in Deutschland im Jahr 2030 gerade einmal rund 210.000 Ladepunkte“ (Quelle)

 

Warum stockt der Ausbau der Ladeinfrastruktur in Deutschland so sehr?

Immerhin 50% der deutschen Gemeinden müssen noch komplett auf Ladepunkte verzichten. Außerdem kennt der Autor dieser Zeilen mindestens 2 größere Städte, die ganze 2 (mehrheitlich defekte) Ladepunkte vorweisen können. Das ist ein enorm schlechtes Bild, welches die Auswertung des Verbandes der Deutschen Automobilindustrie im Mai 2022 da zeigt.


Da verwundert es auch nicht wirklich, warum so viele Menschen noch zögern sich ein Elektrofahrzeug anzuschaffen – und das trotz der enormen Subventionen durch Bund und Länder. Das bestätigt auch eine Erhebung von NextMove nach der über 85% der E-Auto-Besitzer ihr Fahrzeug zu Hause oder auf der Arbeit laden können – das schafft Sicherheit. (Quelle)


Die Gründe für den zögerlichen Ausbau der Ladeinfrastruktur sind nicht nur die marktwirtschaftlichen Aspekte, denn das würde das komplette Fehlen von Ladesäulen in manchen Regionen nicht erklären. Viel mehr haben die Gemeinden das Verbrenner-Verbot ab 2035 noch nicht im Hinterkopf und bereiten sich nur verzögert auf die neue Situation vor.


Um mal bei den konkreten Zahlen zu bleiben: durchschnittlich 57.000 E-Auto Neuzulassungen gab es innerhalb der letzten 12 Monate in Deutschland Dem gegenüber stehen aber nur ca. 1400 neue Ladesäulen. Selbst wenn wir den eher zurückhalten Schlüssel von 1:10 anlegen, ist dies deutlich zu wenig.


Unsere Nachbarn sind da übrigens deutlich besser unterwegs. In den Niederlanden beispielsweise gibt es im Gegensatz zu den deutschen 60.000 Ladesäulen bereits über 80.000 Stück, obwohl das Land um ein 5-faches kleiner ist als Deutschland.

 

Was sind die Probleme beim Ausbau der Ladeinfrastruktur?

Der ADAC hat das bestätigt, was viele von uns bei Behördengängen stets bemerken: Das größte Problem beim derzeitig stockenden Ausbau der Ladeinfrastruktur ist die Bürokratie. Es dauert erst viel zu lang, bis ein geeigneter Standort gefunden ist und das Genehmigungsverfahren abgeschlossen ist.


Experten und Planer sind sich einig: Um den Ausbau deutlich zu beschleunigen, benötigt es wesentlich schnellere Planungs- und Genehmigungsprozesse. Dass nun auch noch - wegen angeblicher Streitigkeiten um die Zuständigkeiten - der lang ersehnte und bereits angekündigte Masterplan Ladeinfrastruktur II auf Eis gelegt wurde, trägt sein Übriges zu den Verzögerungen bei.

 

Eine aktuelle Studie bestätigt diese Verzögerung im Ausbau

Auch seitens der KfW bekräftigt sich Kritik an einer massiven Verzögerung. Diese befragte im Rahmen ihres Energiebarometers repräsentativ 4000 Haushalte zu diesem Thema und kam zu dem Ergebnis, dass:

•            mehr Ladestationen in Ballungsgebieten benötigt werden, als in ländlichen Regionen

•            sich in Städten statt der durchschnittlich 8 Autos der vergangenen Jahre aktuell 23 Autos eine Ladesäule teilen müssen.


Laut den Angaben der KfW sei dies dem dreifach schnelleren Wachstum im Bereich der E-Auto-Neuzulassungen gegenüber dem langsamen Ladesäulenausbau geschuldet.

„Setzt sich dieser Trend fort, könnte dies für die Praxistauglichkeit der Elektromobilität zum Problem werden,” ließ KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib verlauten.

 

Wie beeinflusst der mangelnde Ausbau die Kaufentscheidung für ein E-Fahrzeug?

Passend hat die KfW in der Umfrage auch das Kaufverhalten bzw. die Bereitschaft dazu analysiert und kommt zu dem Schluss, dass fehlenden Ladesäulen das Kaufverhalten der Bürger negativ beeinflussen. Es zeigt sich deutlich, dass derzeit 53,8 Prozent der Befragten aufgrund der schlechten Ladeinfrastruktur vom Kauf eines E-Autos absehen.

 

Wie viele E-Ladesäulen benötigen wir denn nun wirklich?

Doch es gibt auch eine Reihe an gegenteiligen Stimmen, die sich kritisch gegenüber den Umfrageergebnissen äußern und andere Daten und Fakten vorlegen. Dazu zählt sich auch der Autor dieser Zeilen, denn nie war das öffentliche Laden in den vergangenen drei Jahren angenehmer als jetzt.


So ist es beispielsweise auch aus persönlichen Beobachtungen nachweisbar, dass die Ladeleistung der öffentlichen Ladepunkte – und der Fahrzeuge - ständig zunimmt und sich damit die Ladezeiten verkürzen. Das wiederum führt eben auch dazu, dass es eventuell in Zukunft gar nicht nötig sein wird, eine Million Ladepunkte zu installieren. Beispielsweise lädt ein KIA EV6 in ca. 18 Minuten an einer ausreichend schnellen Ladestation den Akku auf 80% voll.


Unterstützung gibt es beispielsweise von Jan Strobel vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW, dass sich aufgrund der Diskussion über fehlende Ladesäulen ein verfälschtes Bild für die Bevölkerung ergeben würde. Das trage nicht gerade zum Vertrauen der Bürger in die E-Mobilität bei.


„Richtig sei vielmehr, dass das Ladesäulennetz bereits jetzt gut funktioniere und der Ausbau mit dem Zuwachs an E-Autos Schritt halten könne “, so Strobel weiter.


Auch Till Gnann, Koordinator des Themas Elektromobilität am Fraunhofer-Institut, vertritt diese Ansicht. Er betrachtet die eine Million Ladesäulen bis 2030 eher als eine plakative Zahl. Im Grunde laden laut Ansicht von Gnann bereits jetzt viele Menschen ihre E-Autos am Arbeitsplatz oder zu Hause und genau dahin ginge auch der eigentliche Trend. Diese Ansicht teilt auch der Autor dieses Blogbeitrages, denn ein Wallbox-Sharing ist ebenfalls in den offiziellen Zahlen nicht inbegriffen.


+++ Besonders interessant wird das Wallbox-Sharing durch die THG-Quote auf öffentliche Ladestationen. Bei uns bekommt ihr für jede kWh, die ihr an einen Nachbarn oder Freund in 2022 „verschenkt“ satte 18 Cent zusätzlich. +++


Eine Studie der NOW GmbH (Quelle) bestätigt die Aussagen der beiden Energieexperten. Die Zahlen der Studie belegen, dass das starre Verhältnis von E-Fahrzeugen zu öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur von 10:1 nicht mehr zeitgemäß ist. Vielmehr zeigt sich, dass die Zahl der öffentlich benötigten Ladepunkte in Zukunft stark von mehreren Faktoren abhängig ist:

•            von privaten Lademöglichkeiten

•            von Ladepunkten beim Arbeitgeber

•            von der Leistung der Ladepunkte / Schnelligkeit

•            vom voraussichtlichen Verhältnis von E-Fahrzeug zu Ladepunkt 20:1


Eine weitere Frage, die dringend gestellt werden muss, ist, inwiefern sich der forcierte Ausbau der Ladeinfrastruktur bis zu einer Million Ladepunkte als wirtschaftlich lukrativ erweist? Denn tatsächlich kommt es bereits jetzt seitens der Ladesäulenbetreiber wegen nicht oder nur sehr gering ausgelasteter Ladepunkte zu Beschwerden. Hier muss aber klar ergänzt werden, dass sich nur wenige Ladepunkte aktuell rechnen.


Sinnvoller scheint es daher, private Wallboxen oder Ladestellen am Arbeitsplatz finanziell mehr zu unterstützen und zudem das öffentliche Bild über die Knappheit der Ladepunkte zu korrigieren, anstatt sich an der Zahl von einer Million festzuhalten. Außerdem haben wir schon von einigen Kunden gehört, dass diese mit dem Verkauf der THG-Quote über unser Portal einen Teil des Geldes in die Ladeinfrastruktur investieren werden.

 

Fazit

Uns sollte allen klar sein, dass in den Medien stets ein negatives Bild über die Elektromobilität abgezeichnet wird. Horrormeldungen über brennende Akkus, ständig liegenbleibende E-Fahrzeuge, sterbende Kinder in Afrika und natürlich noch massiv steigende Strompreise sind ein Beispiel für schlechte Recherche. Vielmehr sollte den Zahlen und Fakten aus Studien und Untersuchungen mehr Gewicht zugewiesen werden.



Grundsätzlich steht dem Kauf eines E-Fahrzeuges nichts mehr im Wege – vor allem jetzt, wo die Anschaffung durch die Umweltprämie UND die THG-Quote mehrfach gefördert wird. Der Autor dieses Blogbeitrages fährt übrigens seit über 3 Jahren nur noch elektrisch mit Roller, Motorrad und Auto und bekommt entsprechend auch dreimal die Quote. Wie viele Fahrzeuge habt ihr eigentlich im Fuhrpark? Und wie steht ihr zum aktuell schleichenden Ladesäulenausbau? Schreibt es uns gerne in die Kommentare.


Gastautor: Steven Handau